"Deutschland hat viel mehr Natur"

Der Iraker Fahad Alfahad musste aus seiner Heimat Irak fliehen. Wandern hilft ihm anzukommen.

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NATURFREUNDiN: Herr Alfahad, Sie kommen aus dem Irak, leben aber jetzt in Barsinghausen bei Hannover. Warum?

Fahad Alfahad: Ich bin aus dem Irak geflohen und 2015 in Deutschland angekommen. Meine Eltern und Geschwister auch. Die leben nun in Hannover, ich wurde in Barsinghausen einquartiert. Da lerne ich jetzt Deutsch, mache einen Integrationskurs und habe auch die NaturFreunde getroffen.

NATURFREUNDiN: Mit denen sind Sie oft draußen zu Fuß unterwegs. Wird im Irak auch so viel gewandert?

Alfahad: Nein, leider nicht. Das wäre schön, aber was die Natur angeht, hat Deutschland viel mehr zu bieten. Zum Beispiel gibt es im Irak nur zwei große Flüsse. Und hier reiht sich einer an den anderen. Auch die vielen Wälder, Tiere und Pflanzen: Die Landschaft hier unterscheidet sich sehr von der im Irak. Es gibt hier viel mehr Abwechslung, ich würde sagen: viel mehr Natur.

NATURFREUNDiN: Herr Pöllath, die Ortsgruppe Barsinghausen hat ein Projekt mit dem etwas sperrigen Namen „Umweltbildung mit Geflüchteten“. Wie kann man sich das vorstellen?

Umweltbildung mit Geflüchteten

Elf Ortsgruppen und Landesverbände engagieren sich im NaturFreunde-„Begegnungsprojekt“, das den Austausch mit geflüchteten Menschen bei Umweltbildungsmaßnahmen, Naturschutzarbeiten oder im Natursport unterstützt. Im Mittelpunkt steht das gemeinsame Naturerlebnis mit Geflüchteten. So wird aktive Integrationsarbeit geleistet und begleitend auch Naturschutzgedanken vermittelt. Dabei wird auch der Einsatz von elektronischen Hilfsmitteln wie zum Beispiel Tablets und Smartphones zur Wissens- und Sprachvermittlung erprobt. Das Projekt wird gefördert durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU).

Michael Pöllath: Wir schaffen Räume für Menschen, die flüchten mussten, um uns mit ihnen austauschen zu können. Das geht natürlich am besten bei Begegnungen und besonders gut in der Natur. Einerseits wollen die Geflüchteten in die deutsche Kultur eintauchen, andererseits wollen wir andere Lebensweisen kennenlernen. Wir gehen also gemeinsam raus, machen aber auch andere Veranstaltungen. Es geht immer auch um die kreative Entfaltung der Person.

NATURFREUNDiN: Kommen die Geflüchteten im Projekt alle aus dem Irak?

Pöllath: In unserem Projekt betreuen wir rund 15 Geflüchtete, die letztlich aus der ganzen Welt kommen, zum Beispiel aus Palästina, Afghanistan, Irak, Syrien, sogar Peru.

NATURFREUNDiN: Was bedeutet das Wandern für Sie?

Alfahad: Sport, Gesundheit und Spaß. Das sind für mich wichtige Punkte im Leben. Beim Wandern bleibe ich fit und bin immer in Bewegung. Und ich freue mich einfach, hier sein zu dürfen.

Pöllath: Das Wandern hat für mich zwei Bedeutungen: einerseits der soziale Kontakt, also gemeinsam mit Menschen unterwegs zu sein. Andererseits die Herausforderung: Wandern kann eine körperliche, aber auch geistige Herausforderung sein. Gerade wenn man seine Grenzen austestet und dabei neue Erfahrungen macht.

NATURFREUNDiN: Wie nehmen Sie die Natur beim Gehen wahr?

Alfahad: Vor allem mit den Augen. Die großen Bäume, die vielen unterschiedlichen Pflanzen, all die kleinen und großen Tiere, die hohen Berge. Ich sehe überall schöne Fotomotive. Man kann sich in Deutschland wirklich verlieren in der Natur.

Pöllath: Bei mir geht viel über die Nase. Ich bin Pilzsucher mit Leidenschaft. Der Geruch kann sehr entspannend sein, zugleich aber auch aufregend. Wir NaturFreunde versuchen ja grundsätzlich, die Natur mit allen Sinnen zu erleben. Zum Beispiel bieten wir für kleine Kinder Nachtwanderungen an, ohne Taschenlampe. Sich einfach nur mit den Ohren durch die Landschaft treiben zu lassen, das schärft die Sinne, man nimmt sich und die Umwelt ganz anders wahr.

NATURFREUNDiN: Wie funktioniert das mit den Begegnungen in der Natur? Lernt man beim Wandern die Menschen gut kennen?

Alfahad: Wenn ich wandere, ist das eine gute Möglichkeit, neue Menschen zu treffen. Einfach reden, Interessen austauschen, in die deutsche Kultur eintauchen, das macht so viel Spaß.

Pöllath: Das ist doch gerade das Gute am Wandern, das Kennenlernen. Man spricht mal mit dem einen, mal mit der anderen, man wechselt sich ab. Zuhause hat man seltener die Gelegenheit, den Gesprächspartner zu wechseln. Wenn man sich zum Beispiel am Tisch unterhält, wirkt dieser oft auch wie eine Barriere.

Alfahad: Genau. Als Barriere für Erlebnisse. Man kommt nicht raus.

NATURFREUNDiN: Wenn Sie ohne festes Ziel rausgehen und einfach durch die Natur streifen: Macht das überhaupt Sinn?

Pöllath: Definitiv. Wir haben aber auch immer ein festes Ziel. Und selbst beim scheinbar sinnlosen Laufen macht die Bewegung den Kopf frei. Man bekommt neue Energie, neue Motivation, zum Beispiel für neue Projekte. Und dann bekommt man auch neue Ideen, man ist viel kreativer als zu Hause am Schreibtisch.

NATURFREUNDiN: Ist das Wandern also auch eine Flucht, sagen wir mal: aus dem Alltag, aus dem Leben?

Pöllath: Fahad, vielleicht antwortest du zuerst?

Alfahad: Eine Flucht? Nein, definitiv nicht. Beide Dinge sind grundlegend verschieden. Eine Flucht macht keinen Spaß. Da ist man getrieben von Angst, alles ist unsicher. Eine Wanderung dagegen ist spannend und sie ist auch gesund. Für den Körper und für den Geist.

Pöllath: Von dem Fluchtmotiv halte ich auch nichts, ganz im Gegenteil: Das Wandern ist bei mir Teil meines Lebens. Jeder gestaltet sich sein Leben selbst und ist dafür dann auch verantwortlich. Wenn ich mich entscheide, die Natur an mich ranzulassen, ist das Wandern ein fester Bestandteil meines Lebens. Das Leben ist ja weit mehr als nur Lohnarbeit. Gerade die, die geflüchtet sind, wissen ganz genau, wie es ist, wenn das Leben in der eigenen Hand liegt. Mehr, als wir uns das jemals vorstellen können.

NATURFREUNDiN: Was ist ein guter Weg für Sie?

Alfahad: Ein guter Weg ist steil und bergig und hat anstrengende, aber auch entspannende Phasen. Ich spüre dann das Adrenalin im Körper. Ich will auf einem Weg aber auch auch Spaß haben und nicht nur schwitzen. Ich sehe einen guten Weg als Chance für meine persönliche Entwicklung.

Pöllath: Für mich liegt ein guter Weg abseits der Wege. Und das ist viel mehr als nur räumlich gedacht, es ist mehr eine Art Lebensphilosophie. Das Leben beginnt außerhalb der Komfortzone. Solange du immer das Gleiche machst und nicht mehr aus deinem Trott herauskommst, lernst du dich und deine Persönlichkeit nicht wirklich kennen.

Fahad Alfahad (27) flüchtete aus dem Irak nach Deutschland. Der ausgebildete Heizungstechniker nutzt das Angebot der NaturFreunde Barsinghausen, unter anderem das Projekt „Umweltbildung mit Geflüchteten“.

Michael Pöllath (56) ist in der gewerkschaftlichen Erwachsenenbildung tätig und auch Vorsitzender der NaturFreunde Barsinghausen nahe Hannover. Dort leitet er auch das Projekt „Umweltbildung mit Geflüchteten“.

Dieser Artikel erschien zuerst in der NATURFREUNDiN 2-2017.