Warum die NaturFreunde seit über einem Jahrhundert Naturfreundehäuser errichten

Einweihungsfeier des Naturfreundehauses Feldberg im Jahr 1926
© 

Nach der NaturFreunde-Gründung 1895 in Wien erkundeten die Mitglieder des neuen Arbeitertouristenvereins Natur und Landschaft, lernten mit- und voneinander und kämpften politisch gegen Betretungsprivilegien von Fürsten und Bourgeoisie. „Lasst weit zurück die Stätten eurer Fron“, war ein Motto der ersten Jahre.

Mit dem ersten Naturfreundehaus auf dem österreichischen Padasterjoch bauten sich die NaturFreunde dann ab 1907 ein eigenes Häuserwerk auf. Die eigenen Wanderunterkünfte boten Freiraum für die ungestörte politische Betätigung, auch konnte man die NaturFreund*innen so besser fernhalten von Kneipen und Spelunken.

In Deutschland wurde das erste Naturfreundehaus 1911 in Maschen bei Hamburg errichtet, bis zum Ersten Weltkrieg entstanden etwa 30 Naturfreundehäuser. Noch 1914 wurde vom sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Carl Schreck das Bielefelder Naturfreundehaus in Oerlinghausen mit 60 Schlafplätzen und großer Selbstkocherküche eingeweiht.

Naturfreundehäuser heute:

719 Naturfreundehäuser weltweit
Deutschland 379 ∙ Österreich 140 ∙ Schweiz 80 ∙ Frankreich 55 ∙ Niederlande 21 ∙ Italien 9 ∙ Großbritannien 8 ∙ Belgien 7 ∙ Finnland 6 ∙ USA 5 ∙ Chile 3 ∙ Tschechien 3 ∙ Rumänien 1 ∙ Spanien 1 ∙ Senegal 1
www.naturfreunde-haeuser.net

379 Naturfreundehäuser in Deutschland
Davon haben 260 Naturfreundehäuser Übernachtungsmöglichkeiten mit insgesamt mehr als 9.000 Übernachtungsplätzen, 196 Häuser verfügen über Selbstversorgerküchen. 132 Naturfreundehäuser sind vollbewirtschaftet, 222 ganzjährig geöffnet.
www.naturfreundehaus.de

In den 1920er-Jahren erhielten die NaturFreunde dann großen Zulauf. In Zeiten von Massenarbeitslosigkeit und Inflation war der Genossenschaftsgedanke für viele Arbeiter*innen sehr attraktiv. Gemeinsam baute man neue Naturfreundehäuser, etwa das schmucke Naturfreundehaus in Mellendorf, welches Hannoveraner NaturFreund*innen 1924 aus Abbruchmaterial eines alten Schornsteins erbauten.

„Jedes Naturfreundehaus, das neu entsteht, ist ein Stück Klassenkampf“, hieß es auf der NaturFreunde- Reichsversammlung 1928. Die Häuser wurden damals auch als „grüne Inseln im Klassenkampf“ bezeichnet – geschätzt von den einen als Erholungsort von (über-) politisierten Kämpfen der Arbeiterparteien untereinander, von den anderen als Kraftquelle für neue politische Auseinandersetzungen.

Hatten manche Alpenvereinshütten schon in den 1920er-Jahren aus eigener Überzeugung die Hakenkreuzfahne gehisst, erlitten die Naturfreundehäuser dieses Schicksal 1933 durch Verbot und Enteignung ihrer angeblich „marxistischen“ Organisation. Die Häuser gingen in den Besitz der NSDAP, der SA, der Hitlerjugend, der Jugendherbergsorganisation oder auch privater Profiteure des Hitlerregimes über. Manches Naturfreundehaus wie das in Königstein wurde von der SA als KZ missbraucht.

1945 waren viele Naturfreundehäuser zerstört oder wurden zu Flüchtlingsheimen umfunktioniert. Der Verband selbst konnte nur gestützt auf Solidarität internationaler NaturFreund*innen neu aufgebaut werden – zumindest im Westen. In der sowjetisch besetzten Zone galten die NaturFreunde als unzuverlässige Organisation, wurden nicht wieder zugelassen und stattdessen in FDJ, Deutscher Bund für Wandern und Orientierungslauf oder Kulturbund gepresst.

Als „Entschädigungsleistung“ erhielten die NaturFreunde eine begonnene SS-Lebensborn-Baustelle in den Allgäuer Alpen und errichteten in den 1950er-Jahren dann dort das Kanzelwandhaus – in Workcamps und finanziert mit Genossenschaftsbausteinen sowie Ortsgruppendarlehen. In der DDR wurden Naturfreundehäuser zu SED-Parteischulen wie das Naturfreundehaus Üdersee oder zu Jugendherbergen wie das Naturfreundehaus Zirkelstein. In der Bundesrepublik waren die NaturFreunde mit ihren Häusern sehr attraktiv für junge Menschen, die Naturerlebnis, Geselligkeit, sportliche und kulturelle Betätigung sowie politische Bildung suchten. Viele Naturfreundehäuser entstanden damals als gemeinsames Wochenendhaus der Ortsgruppe und wurden von ehrenamtlichen Hausdiensten geführt. Baulich waren dies oft „Patchworkhäuser“, in denen sich jede Hausdienstgeneration durch eigene Handwerksleistungen und Geschmack einbrachte.

Traditionshäuser hingegen wie die in Rheinland- Pfalz gelegenen Naturfreundehäuser Rahnenhof oder Elmstein wurden in den 1970er- und 1980er-Jahren zu modernen Familienferien- oder Tagungshäusern ausgebaut, auch das Naturfreundehaus Bodensee ergänzte Familienappartements und Studios für Kleingruppen. Und in der Auseinandersetzung um die Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen in Deutschland erklären sich viele Naturfreundehäuser symbolisch zu „Atomwaffenfreien Zonen“.

Mit der Gründung der NaturFreunde DDR nach dem Mauerfall in der Jugendherberge „Julius Fucik“ – Naturfreundehaus Königstein – und dem Zusammenschluss der deutschen NaturFreunde-Organisationen stellte sich die Frage des Neuaufbaus eines Häuserwerks in den neuen Ländern. In komplizierten Restitutionsverfahren kehrten einige der 1933 enteigneten Traditionshäuser in die Obhut der NaturFreunde zurück und zwangen den Verband zu großen Investitionen. Das Erbe wollte man nicht ausschlagen.

Mit öffentlicher Förderung wurden große Familienferienstätten wie die Naturfreundehäuser in Usedom oder Oberhof geschaffen. Der neue Betreiberverein von zehn Häusern in den neuen Ländern, das „Familienferien- und Häuserwerk der NaturFreunde Deutschlands“ in Berlin, konnte sich jedoch nur wenige Jahre halten.

Mit der europäischen Einigung wuchs die NaturFreunde- Bewegung auch international nochmals, mehr als 1.000 Naturfreundehäuser existierten Anfang des Jahrtausends. Man unterstützte sogar den Bau eines Naturfreundehauses in Senegal. Heute zählt die NaturFreunde Internationale noch 719 Naturfreundehäuser.

Das jüngste Naturfreundehaus in Deutschland ist ein 2019 eröffnetes Zentrum für Tagungen in Erfurt. Benannt wurde es nach der Widerstandskämpferin, Arbeitersportlerin und NaturFreundin Charlotte Eisenblätter.

Hans-Gerd Marian

image

© 
67316 Carlsberg-Hertlingshausen
Übernachtungsplätze vorhanden
vollbewirtschaftet
© 
67471 Elmstein
Übernachtungsplätze vorhanden
vollbewirtschaftet
Naturfreundehaus Bodensee
© 
78315 Radolfzell-Markelfingen
Übernachtungsplätze vorhanden
vollbewirtschaftet
© 
01824 Königstein
Übernachtungsplätze vorhanden
vollbewirtschaftet
Bielefelder NFH
© 
33813 Oerlinghausen
Übernachtungsplätze vorhanden
Selbstversorgerhaus
© 
99084 Erfurt
keine Übernachtungsmöglichkeiten
Verpflegung nach Absprache